
Wenn die Kommunikation dem Zufall überlassen wird, wird sie unterlassen: Für eine erfolgreiche Obsolescence-Einführung braucht es einen professionellen Kommunikationsplan. Das gilt es dabei zu beachten.
Die Einführung von Obsolescence-Prozessen in Unternehmen ist eine denkbar undankbare Aufgabe. In der ersten Durchsicht könnte man gar zu dem Schluss kommen, es ist ein Projekt mit eingebautem Selbstzerstörungs-Mechanismus. Auf der Wand, gegen die es fährt, steht: „Und was habe ich davon?“ Inzwischen sind die Zeiten vorbei, in denen die Antwort lautete: „Du wirst nicht gefeuert“. Für ein erfolgreiches Projekt müssen die Menschen gewonnen, nicht gezwungen werden. Sie müssen ihren individuellen Sinn und Nutzen finden. Und der kann vom Unternehmen nicht – oder nur sehr beschränkt – gekauft werden. Warum Prämienzahlungen ein eher untaugliches Mittel ist, um Menschen zu motivieren, lesen Sie hier.
Die lange Leidenszeit von Obsolescence
In Sachen Sinnvermittlung haben es viele andere Projekte leichter als ausgerechnet die Einführung von Obsolescence-Prozessen. Bei der Implementierung einer neuen Software zum Beispiel winken den Betroffenen nach der Durststrecke der Umstellung etwa eine schöne haptische Bedienoberfläche, kürzere Zugriffszeiten oder mehr Features für mehr Möglichkeiten und schnelleres Arbeiten. Beim Thema Obsolescence-Management kommt zuerst die Leidenszeit und dann ganz lange – nichts. Denn das Hauptaugenmerk der Prozess-Einführung und -Veränderung dürfte bei den meisten Unternehmen im strategisch/proaktiven Bereich des Obsolescence-Managements liegen, ein reaktives gibt es meist schon, wenn auch vielerorts aus der Not geboren: Maschine kaputt, Kunde schlägt Alarm. Und dann geht’s Hals über Kopf nach Lösungen suchen: Hat jemand den Schaltplan der Baugruppe – und wenn ja, war das bei Meier Version 4.05 oder 4.06? Und macht das einen Unterschied? Und wenn ja, welchen? Hat jemand noch einen HB-Chip 0815 rumliegen? Sag mal, ist die BOM noch aktuell?
Der nächste Schmerz ist immer der größte
Dieses Szenario ist natürlich rein hypothetisch, soll aber andeuten, dass das drängendste Problem immer das wichtigste ist. Und warum soll ich mich – proaktiv – um die Vermeidung zukünftiger Schmerzen kümmern, wenn ich jetzt – reaktiv – schnell ein Pflaster brauche oder ein Dreieckstuch für die Armschlinge. Da sind dann die Hände gebunden. Wenn der zeitliche Abstand zwischen Aktion und Belohnung, also säen und ernten, zu groß ist, geht es mit der Motivation der Beteiligten rapide bergab, das zeigen wissenschaftliche Studien. Man hat jetzt keine Zeit, um später viel mehr Zeit zu sparen, hat jetzt kein Geld, um später viel mehr Geld zu sparen. Man rettet sich vielmehr von einem Jahresbudget ins nächste, von einem akuten Obsoleszenz-Fall zum nächsten. Das ist menschlich verständlich und für das Unternehmen schädlich bis existenzgefährdend. Aber: Rettung naht.
Die Rettung: Zertifizierung nach DIN 42064
Die aktuelle Version der Obsolescence-Norm liegt als englische Version IEC 42064 vor und wartet auf die deutsche Übersetzung. Das wird voraussichtlich Anfang/Mitte 2021 passieren und die IEC damit in eine DIN-Norm überführt sein. Später folgt eine offizielle Zertifizierung und damit ein unschlagbares Argument für die normgerechte Einführung eines Obsolescence-Managements in Vollausstattung: Keine Zertifizierung, kein Umsatz. Die Kunden, ob im Bereich Bahn, Defense, Schifffahrt, Fluglinien oder Industrieanlagen, werden in absehbarer Zeit keinen Kaufvertrag mehr unterschreiben, in dem nicht zertifiziertes Obsolescence-Management zugesichert ist. Und so wie heute bei Qualitätsmanagement nach DIN/ISO 9001 reden wir nicht über eine besonders tolle Leistung, die der Lieferant erbringt, sondern über eine Selbstverständlichkeit, ohne die eine Geschäftsbeziehung schlicht undenkbar ist. So ist nun ein ziemlich gewichtiger Grund für die Einführung eines professionellen Obsolescence-Managements gefunden. Aber macht es das besser?
Auch wenn dadurch die Arbeit nicht getan ist, lautet die Antwort eindeutig: Ja. Denn mit dem Damoklesschwert wegbrechender Aufträge wird Obsolescence-Management zu dem, was es eigentlich schon immer sein sollte: zur Chefsache. Und Schweißperlen auf der Vorstandsstirn – neudeutsch Management Attention – ist die Basis, ohne die große Projekte nicht gelingen können. Basis beispielsweise dafür, die Taschen nach außen zu drehen und das Projekt mit den nötigen Ressourcen auszustatten. Die Aufmerksamkeit der Chefetage hilft – welcher Mitarbeiter will es sich schon mit selbiger versauen? – die Motivation und Bereitschaft im Unternehmen für Obsolescence-Aktivitäten zu entfachen. Um die Flamme der Begeisterung zu auch mittel- und langfristig zu nähren, braucht es mehr; nämlich eine professionelle interne Kommunikation.
Wir machen Obsolescence – und reden darüber
Diese Kommunikationsaufgabe ist nichts anderes, als die Begleitung und Ermöglichung, Unternehmensziele (hier die Einführung eines zertifizierungsfähigen Obsolescence-Managements) auf Abteilungen und Mitarbeiter herunterzubrechen (= in geeigneter Weise zu kommunizieren). Und mit einem Halbsatz in den Jahreszielen ist es beileibe nicht getan. Es muss ein Kommunikations-Konzept her, das in Form und Inhalt die Ziele und die damit verbundenen Aktivitäten in die Köpfe und Herzen der Mitarbeiter verankert. Dazu jeweils passend müssen Formen gefunden werden. Das geht von verschiedenen Designs von Großgruppen-Veranstaltungen, über Abteilungs-Events, Intranet-Einträge, Mailings, unterschiedliche Formen der Berichterstattung in der Firmenzeitung, Informationsweitergabe durch die Vorgesetzten (nach Briefings) mit Feedback-Optionen der Mitarbeiter, bis zu Telefonaten und persönlichen Gesprächen.
Inhalte einer solchen Kommunikation könnten sein:
- Dringlichkeit der Einführung vermitteln mit den drohenden Konsequenzen fürs Unternehmen und jeden einzelnen Mitarbeiter im Falle eines Scheiterns.
- Die Zusammenhänge transparent und klar skizzieren und erklären.
- Die Ziele als wünschenswerter Zustand klar, aber auch emotional zu formulieren.
- Die ersten konkreten Schritte definieren.
- Eine kontinuierliche Kommunikation zu gewährleisten und transparent über Fortschritte, aber auch über Hindernisse im Projekt zu informieren.
Kommunikation als Einbahnstraße
Wer Kommunikation als Einbahnstraße plant, kann in der Sackgasse enden. Vor der Kommunikationsplanung muss das Management zuerst eine Grundsatzfrage beantworten: Wollen wir die Mitarbeiter in die Gestaltung der Aktivitäten mit einbeziehen und wenn ja, wie? Es ist wahrlich kein Geheimnis der Change-Management-Wissenschaften, dass Menschen engagierter bei der Sache sind, wenn sie um ihre Meinung gefragt werden. Mit einem rigorosen Top-Down-Ansatz – das Management denkt, der Rest führt aus – geht nicht nur die Motivation der Belegschaft in den Keller. Vielmehr verspielt das Management die Chance, das in der Organisation vorhandene Wissen zu nutzen. Das Gegenkonzept zur Kommandostruktur heißt dabei nicht Wunschkonzert. Ohnehin ist die wesentliche Zielsetzung bei der Obsolescence-Einführung klar: eine zertifizierfähige Struktur nach Vorgabe der IEC 62402. Was nicht in der Norm steht: das Wie. Im übertragenen Sinne: Die Geschäftsleitung sagt: Apfelkuchen, der gut schmecken muss, liefert aber kein Rezept mit, das minutiös nachgebacken werden soll. Das würde ihr bei der außerordentlich hohen Komplexität der Obsolescence-Prozesse quer durch alle Abteilungen auch schwerfallen (dessen ungeachtet gibt es welche, die es versuchen).
Diese Miteinbeziehung der Mitarbeiter oder Teile der Mitarbeiter erfordert natürlich eine Erweiterung der Kommunikationsformen in Form von Feedback-Prozessen beziehungsweise Ideensammlungen. Das kann strukturiert über Online-Abfragen geschehen, Feedback-Elementen im Intranet, über Abteilungs-Events wie Kreativ-Workshops oder mit Großgruppen-Veranstaltungen in geeigneten Formaten, etwa World Café oder Real Time Strategic Change (RTSC).
Stakeholder-Analyse – die Basis gelungener Kommunikation
Diese interne Kommunikation ist nicht der einzige Kommunikationsbedarf eines solchen Veränderungsprozesses. Denn außer der Unternehmensöffentlichkeit gibt es auch noch eine Öffentlichkeit außerhalb des Unternehmens, darunter Geschäftspartner und Kunden, die ebenfalls auf geeignete Weise informiert werden sollten – Stichwort externe Kommunikation. Auch im Unternehmen gibt es Gruppen und Einzelpersonen, die individuell informiert werden müssen, etwa der Betriebsrat, die direkt Beteiligten und Betroffenen, eventuell Gesellschafter – eben jeden, den das Projekt in irgendeiner Weise tangiert. Diese Gruppe nennt sich Stakeholder und das Instrument, das die Basis für gelungene Kommunikation legt, ist die Stakeholder-Analyse.
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